Zu stark um stark zu sein

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„Aufschrei“ und „#metoo“ haben es absolut deutlich gezeigt, der alltägliche Sexismus existiert nicht nur in unseren Köpfen, sondern in der Realität.

Was beide Aktionen ebenfalls zeigten, obwohl wir mittlerweile in einer Gesellschaft leben, in der Frauen zwar eine Stimme haben, diese aber leider zu selten nutzen.

Wir erleben es immer wieder. Obwohl auch wir Frauen durchaus sexistisch sein können, uns verdammt stark geben und so tun, als könnten wir machen, was immer wir wollen, stehen wir plötzlich vor dem Problem: Wir werden massiv bedrängt und reagieren panisch oder sind plötzlich absolut sprachlos.

Wir, die starken Frauen, die im Leben „ihren Mann“ stehen, sind davon wahrscheinlich stärker betroffen, als so genannte „Weibchen“, die sich noch immer unter Wert verkaufen und tatsächlich der Ansicht sind, dem Manne in irgendeiner Form untertan sein zu müssen.

Es ist schon fast erstaunlich, was wir uns gefallen lassen und sogar noch drüber lachen. Wir wissen genau, dass andere Frauen schon längst ihre Zähne gezeigt hätten, während wir noch charmant und humorvoll versuchen, einem Übergriff aus dem Weg zu gehen.

Weitaus erstaunlicher ist gar, dass wir selbst es zuweilen nicht damit umgehen können, wenn wir in eine brenzlige Situation geraten und auf Hilfe angewiesen sind. Nicht selten sind wir gar auf männliche Hilfe angewiesen, da sich einige Kerle nur von einem anderen Mann beeindrucken lassen.

Auch wenn wir noch so emphatisch, charmant oder humorvoll, zuweilen sarkastisch rangehen, trotz all unserer psychologischen Tricks kommen wir an unsere Grenzen und erstarren regelrecht.

Es gibt zum einen die kleinen Dinge, die uns aus der Bahn werfen. Wenn jemand etwas zu aufdringlich und penetrant wird, uns sprachlos macht, benötigen wir zuweilen eine Freundin, die dem Kerl eiskalt lächelnd verbal in die Eier tritt. Es gibt jedoch auch physische Übergriffe, die uns regelrecht in Schockstarre verfallen lassen.

Jedes Mal sind wir verwundert, warum so etwas ausgerechnet uns passiert. Ausgerechnet uns, die ansonsten immer und überlall eine große Klappe haben und durchaus allein lebensfähig sind.

Das Problem, wir können uns gar nicht vorstellen, wie dreist und sexistisch manche Menschen sind. Und ja Menschen, nicht Männer! Sexistische Frauen, die hämisch lachend einem Übergriff zuschauen, sind fast noch schlimmer und unerträglicher, als die eigentlichen Täter.

Da gibt es diese eher kleinen unscheinbaren Dinge, die uns fast erstarren lassen und die wir erst bemerken, wenn eine Freundin uns da rausholt.

Ein stets gutes Beispiel ist die Autowerkstatt. Oft wissen wir schon, dass wir auf verlorenem Posten sind, wenn wir uns nicht in eine Vertragswerkstatt begeben, da diese selbstverständlich überteuert arbeitet und wir keine Lust haben, für das Wechseln einer Glühlampe EUR 150,00 zu bezahlen.

Also gehen wir meist zu einem Autoschrauber, der uns von einem Freund des Schwagers einer Freundin empfohlen wurde. „Der ist zwar irgendwie schräg, aber günstig!“

Also nix wie hin. Natürlich nur im Zweierpack, immerhin ist er ja schräg.

Der eigentliche Fluch liegt natürlich in unserem Verhalten, was wir eigentlich auch wissen. Doch aus irgendwelchen nicht näher zu definierenden Gründen können wir nicht anders.

Der Autoschrauber bekommt unser entzückendstes Lächeln, immerhin wollen wir ja was von ihm. Er soll unser Auto innerhalb kürzester Zeit wieder verkehrssicher machen und das zu einem wirklich guten Preis. Da kann man auch mal entzückend lächeln, kostet ja nichts. Doch verdammt! Zumeist kostet es uns die Würde, was wir jedoch erst hinterher feststellen, wenn wir uns fast zu Tode schämen und am liebsten kotzen würden.

Nur gut, dass wir im Doppelpack vor Ort sind, so können wir uns immerhin darauf verlassen, dass unsere Freundin uns da wieder rausholt.

Sie lächelt zwar genauso entzückend wie wir, doch ihre gewählt eiskalten Worte lassen den Autoschrauber sich daran erinnern, dass er es nicht mit einem willigen Opfer zu tun hat.

Unsere Freundin lächelt ebenso entzückend, kann ja sein, ihr Auto bedarf demnächst auch einer Reparatur.

Diese Szenarien gehen zum Glück fast immer gut aus, denn immerhin will auch der Autoschrauber uns weder als Kunden verlieren, noch möchte er negative Werbung. Er lebt von Mundpropaganda und ist zudem immer erfreut, hübsche Frauen als Kunden zu haben. Daher hat er sich nach den eiskalten Worten der Freundin auch sofort im Griff und macht seinen Job.

Wesentlich brisanter wird das Ganze beim abendlichen Vergnügen in der Bar oder im Club.

Auch hier gibt es die eher kleinen Vorfälle, die wir als alltäglich abtun. Es gibt sicher kaum eine Frau, die den Versuch des Barkeepers, sie abzufüllen nicht erlebte. Da bestellt man einen Cocktail, der mindestens die doppelte Menge Alkohol enthält, immer begleitet von blöden Sprüchen, die den Cocktail fad schmecken lassen.

Aber kein Problem, er muss immerhin bis Feierabend hinter dem Tresen bleiben, da befinden wir uns schon lange auf dem Heimweg, den er nicht kennt.

Auch in Bars oder Clubs tauchen wir zumeist im Doppelpack auf oder gehen nur dahin, wo wir sicher sind, jemanden zu treffen, den wir kennen.

Im Prinzip wissen wir Bescheid, kaum ein Abend, an dem wir nicht in die Anmachfalle geraten. Und der Barkeeper ist da noch die beste Wahl, denn seine Sprüche sind erträglich.

Angetrunkene Männer in freier Wildbahn haben Sprüche drauf, die uns fast ad hoc den Magen umdrehen. Damit ist natürlich nicht die Frage, ob man öfter „hier“ sei gemeint, da verdrehen sich nur schnell die Augen. Es sind eher solche Sprüche wie „deine Eltern müssen Diebe gewesen sein“. Wisst ihr, wie es weiter geht? Vorsicht, akute Kotzgefahr! „Sie haben das Leuchten der Sterne geklaut und in deine Augen gesetzt“.

So geht das natürlich endlos weiter, z.B.: Hat es eigentlich wehgetan als du vom Himmel fielst? – Wie ist das Gefühl, wenn man die schönste Frau im Raum ist?

Ganz ehrlich, keine Ahnung, was sich solche Sprücheklopfer denken, sie sollten in jedem Fall angestrengt darüber nachdenken, warum sie keine Frau kennen lernen.

Wir haben Glück, wenn wir zu solch einem Tiefpunkt des Abends zumindest schon ein klein wenig angetrunken sind, denn nüchtern würde man das in keinem Fall ertragen. Mit ganz großem Glück haut der den nächsten blöden Spruch auf Lager.

Das ist zwar unendlich nervig, aber immer noch harmlos. Aus solchen Situationen kommt man mit einer kleinen Prise Sarkasmus, gemischt mit einem bösen Blick gut raus.

Die schwierigsten Fälle sind solche, in denen es gar zu physischen Übergriffen kommt. Auch wenn es viele kaum glauben können, es gibt sie wirklich immer wieder. Da ist zum Beispiel der Kerl, der der Meinung ist, man sei schon allein deshalb Freiwild, weil man in seinen Augen „zu sexy“ angezogen ist und sich in „dieser“ Szene rumtreibt, von der man ja weiß, dass alle der Szene auf S/M, Bondage und was weiß ich, stehen. Man bekommt hier oder dort schon mal einen Klapps auf den Hintern, immerhin steht man ja ganz offensichtlich darauf.

Es gibt auch solche, die einem einfach mal einen Kuss auf die Wange drücken, wobei die gar versuchen, in Lippennähe zu kommen. Bereits diese Art von Übergriffen können wir kaum mehr selbst abwehren, wir verfallen in Schockstarre. Dass wir nur still halten, da wir paralysiert sind, wird nicht bemerkt und gar als Zustimmung gewertet. Wieder setzen wir nur ein entzückendes Lächeln auf und versuchen den Plagegeist mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln der Kommunikation zur Zurückhaltung zu mahnen. Da kann man machen was man will, mit Engelszungen auf den einreden, einen strengeren Ton anschlagen oder versuchen, dass Ganze als Witz abzutun. Leider gibt es noch immer diesen verbreiteten Unfug, dass ein Nein einer Frau kein Nein ist. Und genau das glauben solche Männer und sind der Ansicht, dass sie sich einer Frau körperlich bemächtigen dürfen.

Leider sind wir in einer solchen Situation in der Tat häufig auf männliche Hilfe angewiesen. Nur ein Mann, der in diesem Moment seinen Anspruch auf uns geltend macht, kann einen solch übergriffigen Kerl nachhaltig in seine Grenzen verweisen. Traurig.

Die, in den Augen der Männer, zu freizügige Kleidung lässt sie auch annehmen, dass wir absolut scharf darauf seinen, Körperflüssigkeiten auszutauschen.

Es ist dabei auch vollkommen egal, ob wir angeblich zu tief dekolletiert sind, einen Minirock oder Hotpants tragen, oder sonstige Kleidung, die unseren Körper in Szene setzt. Sogar der gute Rolli wird gern mal als zu sexy deklariert.

So haben es schon einige von uns erlebt, dass ihnen massiv nachgestellt wurde, man versuchte, sie zum Beischlaf zu nötigen oder ihnen gar jemand zwischen die Beine bzw. an die Brüste fasste.

Solche Situationen eskalieren fast immer. Gerade da hier von außen eingegriffen werden muss. Das ist kein Spaß mehr, das ist sexuelle Nötigung in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung.

Jede noch so selbstbewusste Frau kann sich da vor Panik kaum allein wehren. Hinzu kommt, dass Frauen, die dies beobachten, leider häufig auch davon ausgehen, dass es dieser „Schlampe“ recht geschieht, sie hätte sich ja anders kleiden können.

Das ist schon fast das merkwürdigste an solchen Situationen, viele Männer sehen die Gefahr, andere Frauen, ergötzen sich fast daran.

So sehr wir diese übergriffigen Männer verachten, so sehr bewundern wir die, die eingreifen und uns klar machen, dass es nicht unsere Schuld ist. Es ist nie unsere Schuld, sonst wären in Saunen und an FKK-Stränden Vergewaltigungen Usus!

Wie genau man aus dieser Spirale der Panik und der Schockstarre entkommt, kann ich nicht sagen. Ich kann euch nur ermutigen, euch treu zu sein. Zieht an, was ihr wollt, schminkt euch, wie ihr wollt und geht weiterhin aus. Es ist euer Körper und KEINER hat das Recht, euch vorzuschreiben, was ihr damit macht. Und schon gar nicht hat irgendjemand das Recht, euren Körper für sich zu vereinnahmen!

Geht in Selbstverteidigungskurse, versucht euch immer unter so vielen Menschen wie möglich aufzuhalten und lebt euer Leben!

astrid