Ich pfeife auf den Prinzen, ich nehme das Pferd!

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Als Kind war ich strohblond. Das wird sich kaum jemand vorstellen können, der mich erst als Jugendliche oder später kennenlernte.

Mit den Jahren wurden meine Haare immer dunkler, bis von Blond keine Spur mehr zu sehen war. Nicht einmal mehr blondieren konnte ich meine Haare, auch nicht nur ein paar Strähnen.

Ein Friseur, dem ich mein Dilemma schilderte, da ich unbedingt blaue Strähnen haben wollte, war der absoluten Überzeugung, er bekäme es hin.

Ich drücke es mal so aus, ich lief danach mit mehreren abgebrochenen Strähnen auf meinem Kopf herum und war verdammt froh, dass ich im Winter gern Mütze trage.

Meine Cousine, mit der ich zusammen den Kindergarten und auch die Grundschule besuchte, hatte von klein auf dunkle Haare.

Eines ihrer Lieblingsspiele war, darüber zu philosophieren, welche Prinzessinnen schöner seien, die blonden oder die dunkelhaarigen.

Mir war das vollkommen egal, ich erzählte ihr, dass es doch so richtig gut sei, dass wir unterschiedliche Haarfarben hätten, dann könnten wir in unserer späteren Band noch viel besser voneinander unterschieden werden.

Das mit den Bands fand sie auch recht gut, dennoch war das Prinzessinnenspiel ihr liebstes Spiel. Sie fantasierte sogar, wie es irgendwann wäre, wenn dann der Prinz auf dem Pferd ankäme und sie mitnähme. OK, da hatte sich mich! Ich fragte sie, ob wir nicht teilen wollten, sie könne gern den Prinz haben, ich nehme das Pferd.

Ansonsten war mir dieses Prinzessinnen-Ding vollkommen unbegreiflich, da ich mir ein Leben als Prinzessin schon immer sehr anstrengend vorstellte. Ich stellte mir tatsächlich schon im Kindergartenalter vor, dass es sich wie in einem Gefängnis anfühlen müsste, wenn man in einem Schloss wohnt.

Ich bedauerte gar die armen kleinen Prinzessinnen, dass sie sich nicht schmutzig machen durften, nicht in Pfützen springen konnten oder ähnliches.

Während meine Cousine sich an Fasching immer in eine Prinzessin verwandelte, wirklich jedes Jahr, bevorzugte ich entweder tierische Kostüme oder solche, die ansonsten damals eigentlich nur Jungs vorbehalten waren.

Auch ansonsten hatten wir damals wenige Gemeinsamkeiten und erst recht keine gemeinsamen Hobbys.

Mir wurde ein eher burschikoses Verhalten nachgesagt, da ich am liebsten draußen unterwegs war und eigentlich immer saudreckig nach Hause kam, sie spielte am liebsten mit Barbies oder schminkte sich.

Ich war nicht das einzige Mädchen, das nicht explizit „Mädchenkram“ machte und auch nicht die Einzige, die sich an Fasching nicht in eine Prinzessin verwandelte. Nicht jedes Mädchen träumt oder träumte davon, eine Prinzessin zu sein.

Umso mehr verwundert es mich, wenn ich die Kinderzimmer von weiblichen Säuglingen sehe. Es ist als würde man in eine klebrig-süße rosarote Prinzessinnenwelt eintauchen, die dem armen Wurm keine andere Wahl lassen würde, als irgendwann selbst zur Prinzessin zu mutieren.

Auch ich bin Mutter einer Tochter, doch diese wuchs ohne rosa Zimmer oder Kleidung auf. Sogar ohne anderen Prinzessinnenkram.

Dennoch entwickelte sie sich tatsächlich zu einer „Prinzessin“. Sie fand es toll, sich als Prinzessin zu verkleiden, sich stundenlang zu frisieren oder frisieren zu lassen, um sich in Prinzessinnenkluft die Gummistiefel anzuziehen und durch Pfützen zu hüpfen.

Doch rosa war nie ihre Lieblingsfarbe. Sie trug sehr selten rosa Kleidung, das Zimmer hatte höchstens ein paar rosa Akzente.

Und erst recht gab es keine rosa Sachen, bevor sie eigene Entscheidungen treffen konnte.

Auch meine Cousine wurde nicht in diese Prinzessinnenwelt gezwungen, es war ihre eigene Entscheidung.

Meine Kinder wuchsen ebenso wenig wie ich nicht geschlechtsspezifisch auf. Auch wenn ich wahrscheinlich sehr viel Glück hatte, da damals Mädchen noch nicht unbedingt hauptsächlich Hosen trugen und gar noch für die bevorstehende Aufgabe als Hausfrau und Mutter vorbereitet wurden. Zumindest war es bei einigen meiner damaligen Schulkameradinnen ein Gesprächsthema, wie man seine Zukunft im Hinblick auf den zukünftigen Ehemann aufbaut.

Auch in der Zeit, als ich Mutter wurde, wurde von vielen Eltern vorausgesetzt, dass sich ihre Kinder mit dem biologischen Geschlecht identifizieren und sie später ein „normales“ Leben führen.

Ausgerechnet heute, in einer Welt, in der wir angeblich so tolerant sind, in der jeder seine Identität ganz unabhängig von dem biologischen Geschlecht finden darf, ist diese Prinzessinnenwelt präsenter als je zuvor.

Mir fällt es in der Tat am meisten bei den Mädchen auf, da diese rosaroten Wolken kaum zu übersehen sind und wir noch immer keine Gleichstellung der Geschlechter haben. Wobei ich dazu anmerken muss, dass nicht nur biologisch weibliche Menschen noch immer nicht gleichgestellt sind, Menschen, die ihr Geschlecht nicht näher definieren und einfach nur Mensch sein möchten haben es sogar noch weitaus schwerer.

Solange wir unsere Kinder weiterhin ihrem biologischen Geschlecht entsprechend erziehen, ihnen sogar erzählen, was man mit welchem Geschlecht zu tun oder zu lassen hat, solange werden wir nie eine Gleichstellung der Menschen erreichen können.

Ihr habt, so hoffe ich zumindest, bereits in den Darkweib-Podcast reingehört, den ich zusammen mit meiner Tochter mache. Sicher ist euch dabei das sehr gute und auch freundschaftliche Verhältnis, das ich zu meiner Tochter habe, aufgefallen.

Nein, ich gehöre nicht zu den Frauen, die ihre Tochter als die beste Freundin sehen wollen. Mir geht es hierbei um Respekt, den Respekt, den wir alle uns gegenseitig geben sollten, auch unseren Kindern und auch den Tieren.

Meine Tochter ist und war niemals eine Marionette, die machen musste, was ihre Eltern ihr sagten. Gut gewisse Rahmenbedingungen mussten wir als Eltern sicherlich schaffen. Doch niemals zwangen wir unsere Kinder in eine Geschlechterrolle, noch mussten sie bestimmte Bildungsabschlüsse erbringen. Ich bin sehr froh, dass ich hierbei in meinem Ex-Mann einen guten „Komplizen“ hatte. Von Anfang an war klar, dass wir für immer, egal was zwischen uns ist, Eltern sein werden und dass wir vor allem dafür sorgen müssen, dass unsere Kinder gesund und glücklich sind.

Uns war absolut klar, dass wir unsere Wünsche nicht auf unsere Kinder projizieren können, sondern diese ihr Leben leben müssen und wir hinter ihnen zu stehen haben.

Meine Tochter sagte mir einmal, dass sie sehr froh darüber ist, dass sie gelernt hat, dass Menschen Menschen sind, unabhängig von Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht, Sexualität, Hautfarbe, Religion und in was sonst noch Menschen unterteilt werden.

Ich hatte es sogar als Auftrag gesehen, meinen Kindern beizubringen, dass jeder Mensch das Recht darauf hat, seine Individualität zu entwickeln und auszuleben.

Schaue ich mich jedoch um, sehe ich, dass es wenig Individualismus, sondern gar viel mehr geschlechtsspezifische Produkte, Inspirationen und gar Einrichtungen gibt.

Während reine Jungen- oder Mädchenschulen abgeschafft wurden, gibt es heute nicht nur Kleidung, Frisuren oder Einrichtungen für das jeweilige Geschlecht, es gibt sogar Lebensmittel, die nur einem Geschlecht vorbehalten sein sollen. Mich beeindrucken da am meisten die Gurken, die es sowohl mit rosa, als auch blauer Banderole gibt.

Da kann es nicht verwundern, dass es noch immer Berührungsängste mit nicht heterosexuellen Menschen gibt und es vielen sogar noch schwerer fällt, wenn ein Mensch nicht seinem biologischen Geschlecht entsprechend auftritt.

Es muss einem optisch nicht gefallen, wenn eine biologische Frau Bart trägt oder ein biologischer Mann ein Korsett und High Heels. Aber tolerieren sollte man es. Denn obwohl ich nicht nur biologisch eine Frau bin, sondern sogar auch einige weibliche Attribute habe, so trage ich am liebsten flache Schuhe und bin, wenn auch bedingt durch mein Hobby, oft ziemlich dreckig, mit Schlamm bespritzt, manchmal bis in die Haare, möchte das Bogenschießen erlernen und hasse es zu putzen. Wenn ich nichts vorhabe, also wahrscheinlich keine Menschen treffen werde, schminke ich mich nur selten, meine Haare frisiere ich niemals aufwendig und ich möchte mich unter keinen Umständen von jemandem abhängig machen.

Bei mir tolerieren das die meisten Menschen, allerdings gab und gibt es tatsächlich Menschen, die der Meinung sind, dass ich etwas mehr Wert auf mein Äußeres legen und mir einen Partner suchen sollte, der für mich sorgen kann.

Das sind jedoch keine Worte meiner Mutter, sondern die von „Freunden“.

In solchen Momenten habe ich das Gefühl, wir hängen noch immer in diesem 50er-Jahre-Mief fest, indem man sich als anständige Frau um seinen Mann zu kümmern und diesen zu verwöhnen hat, man vor ihm aufstehen musste, damit man ihm nicht ungeschminkt gegenübertritt. Der Mann darf tun und lassen was er will, solange er das Geld nach Hause bringt, die Frau muss den Haushalt führen, die Kinder versorgen und hat ansonsten bitte einfach zu Hause zu sein und keine Fragen zu stellen.

Allein weggehen, vielleicht in die Kirche, aber ansonsten gehört sich das nicht.

Ich muss gerade daran denken, wie mir vor Jahren jemand, der jünger ist als ich, erzählte, was sich für verheiratete Frauen gehört und was nicht. Nein, dabei ging es nicht um Treue, es ging um Lappalien, wie allein weggehen, mit wem man sich unterhalten darf und welche Pflichten sie gegenüber dem Ehemann hat.

Ja, das Ganze fand tatsächlich im 21. Jahrhundert statt!

Entweder bin ich derzeit etwas zu fokussiert, aber es kommt mir so vor als stoße ich mittlerweile viel öfter auf die unsägliche Aussage, früher sei alles besser gewesen. Da hätte es so etwas nicht gegeben, eine Frau sei eine Frau gewesen und ein Mann ein Mann, Kinder hätten keinen eigenen Willen zu haben und es gab noch Recht und Ordnung.

Und nein, diese Aussagen kommen nicht hauptsächlich von Männern, wesentlich häufiger sind es Frauen, die solchen Blödsinn von sich geben. Die Frauen, die dann wahrscheinlich ihre kleinen Mädchen komplett in rosa ausstatten und sich selbst bereits als Königinmutter sehen. Das Ganze auch noch angeblich im Sinne ihrer Kinder.

Ich wünschte mir so sehr, Menschen würden endlich anfangen, nur den Menschen in jedem zu sehen, statt sie direkt in eine Rolle zu stecken. Es gibt schon zu viele Erwachsene, die nicht wissen, wer sie sind und was sie wollen, weil man ihnen lange erzählt hat, was und wer sie sind und was sie zu wollen haben.

Denn egal wie rosa ein Mädchen ausgestattet wird, sie wird dadurch nicht zur Prinzessin, oder halt nur sehr selten. In Zeiten, in denen die Monarchie in den meisten Teilen der Welt abgeschafft wurde, sollte das gar offensichtlich sein.

Meine Cousine starb leider schon vor einigen Jahren. Dennoch möchte ich euch nicht vorenthalten, dass sie ab dem Teenageralter nicht mehr in ihrem Märchentraum festhing und als Erwachsene die Autoaufbereitung zu ihrem Hobby machte.

Wir lachten gemeinsam sehr häufig über diese merkwürdigen Gespräche über die blonden und die dunkelhaarigen Prinzessinnen und sie hätte später sehr gerne mit mir in einer Band gesungen, auch wenn wir dann die gleiche Haarfarbe hatten.

Aus Kindern werden Leute, auch wenn es manchen nicht passt.

astrid