
Wut gehört dazu!
Wenn man beginnt, sich mit Feminismus auseinanderzusetzen, anfängt Bücher über Feminismus zu lesen, man feministischen Accounts folgt, wird man wütend.
Du kannst von dir selbst glauben, schon immer feministisch – oder wie manche es nennen „emanzipiert“ – zu sein, um festzustellen, dass du bislang nur am Rand gekratzt hast.
Je mehr du dich mit Feminismus beschäftigst, je mehr Bücher du liest, je mehr Podcasts du hörst, desto wütender wirst du. Du wirst erfahren, dass du bislang zu wenig wusstest, dein Spektrum des Feminismus sich vielleicht nur auf deine eigene Lebensrealität bezieht, du nur den weißen Feminismus – und vielleicht auch daraus nur einige Aspekte – aufgegriffen hattest.
Je mehr Wissen du dir aneignest, desto wütender wirst du. Du stellst fest, dass Feminismus nicht gleich Feminismus ist, da einige feministische Bewegungen einen Teil der Menschen ausschließen. Fast noch mehr schmerzt es dich eventuell, vielleicht beschämt es dich sogar, wenn du merkst, dass deine bisherigen Ikonen nur einem bestimmten Teil des Feminismus anhängen und andere Menschen kategorisch ausschließen, was kein feministischer Gedanke ist.
Du wirst dich schämen, du wirst wütend sein und du wirst dich gar schuldig fühlen.
Halt, Stopp! Einmal auf Anfang bitte.
Sicher fragst du dich, ob ich hier nur meinen eigenen Werdegang darstelle. Nein! In einigen Jahrzehnten könnte es eventuell so sein, dass nur wenige Menschen sich zu wenig mit dem Feminismus und der Gleichstellung der Menschen auseinandersetzen/auseinandergesetzt haben, doch in der heutigen tief patriarchalen Welt, werden wir genau dorthin erzogen und sozialisiert, die patriarchalen Werte aufrecht zu erhalten.
Unsere Welt ist auf Männer, deren Befindlichkeiten, deren Bedürfnisse und gar deren Gesundheit ausgerichtet. Genauer gesagt ist unsere Welt ist allem voran auf den weißen Mann, der über allem anderen steht, ausgerichtet. Doch wichtig ist vorerst, dass diese Welt männlich ist. Der Mann an sich steht über der Frau, in allen Punkten. Der Mann ist die Norm, für alles.
Es beginnt direkt mit der Geburt. Auch wenn Frauen, solange sie schwanger sind, der Mittelpunkt des Universums zu sein scheinen, so sind sie direkt nach der Geburt nur noch Mütter. Mutter zu werden, also ein lebendiger Brutkasten zu sein, ist scheinbar die Hauptaufgabe einer Frau.
Doch nach der Geburt steht nur noch das Baby im Mittelpunkt. Niemanden – fast niemanden – interessiert es, wie es der Mutter geht. Sie hat ihre Aufgabe erfüllt, was viele großartig finden, doch das Baby steht über der Mutter, sogar wenn es ein Mädchen ist! Ist es ein Mädchen, wird alles dafür getan werden, dass dieses Mädchen sich dem gängigen Bild des Patriarchats anpasst und so erzogen und sozialisiert wird, dass es Männern zu gefallen hat und im Endeffekt als lebender Brutkasten herhalten soll.
Ist es ein Junge, ist der Jubel groß, da man diesen zu einem Patriarchen erziehen kann.
Glaubst du nicht?
Theoretisch ist es so, dass wir in Deutschland gesetzlich gleichberechtigt sind, doch gleichgestellt sind wir noch lange nicht.
Damit das nicht auffällt, werden Mädchen noch immer so erzogen und sozialisiert, dass sie sich vor allem als Konkurrentinnen sehen, die sich um den besten Knochen (Mann) balgen müssen.
Glaubst du nicht?
Du ziehst also nicht über Frauen her, da sie zu dick sind, eine blöde Frisur, Pickel oder eine zu lange Nase haben, sich unmöglich kleiden oder einfach zu selten lächeln?
Dass unsere Welt rein auf Männer eingestellt ist, und Frauen sich nicht einmal mit ihren eigenen Problemen auskennen, sieht man zum Beispiel auch daran, dass es genügend Frauen gibt, die sagen, dass „Quote“ etwas Blödes sei und die/der Beste den Job verdient hat.
Absolut richtig, Jobs gehören so besetzt, dass der freie Posten mit der bestmöglichen Person besetzt wird. Die Quote bedeutet lediglich, sollten Frau und Mann die gleichen Voraussetzungen mitbringen, ist die Frau dem Mann vorzuziehen, wenn zu wenige Posten mit Frauen besetzt sind, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und Posten nicht unter Männern verschachert werden, wie es zumeist noch immer gängig ist. Die Quote wurde nur eingeführt, damit Frauen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben wie Männer. Somit ist die Quote bislang unsere einzige Chance, in dieser von Männern beherrschten Welt beruflich nicht benachteiligt zu werden.
Doch uns wird erzählt, dass die Posten mit Frauen besetzt werden sollen, ohne deren Qualifikation zu berücksichtigen. Dies wird absichtlich so vermittelt, damit es so aussieht, als hätten Frauen irgendwelche Vorteile, obwohl sie noch immer benachteiligt werden und ohne die Quotenregelung in vielen Bereichen keine Chance hätten.
Auch dass Frauen noch immer hauptsächlich auf ihre Optik reduziert werden, egal was sie ansonsten leisten oder an Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen, liegt unserer strukturellen Erziehung und Sozialisation zu Grunde.
Frauen haben hübsch und leise zu sein. Sie sollen unbedingt ansehnlich sein und auf keinen Fall dürfen sie zu viel Raum einnehmen, auch nicht mit ihrer Körperfülle. Ein übergewichtiger Mann würde niemals als ungeeignet für einen Posten gehalten werden, wohingegen eine Frau diesen Posten nicht begleiten dürfte, wenn sie zu viel wiegt, sprich zu viel Raum einnimmt.
Frauen werden immer sexualisiert, egal was sie machen, es wird immer darüber diskutiert werden, ob sie für Männer attraktiv genug ist. Frauen werden objektiviert.
Während Männer morgens einfach aufstehen, sich irgendwas anziehen und sich mit viel Glück die Haare kämmen, darf eine Frau das Haus nicht ungeschminkt verlassen. Sie wird dafür diskreditiert, wenn sie ungeschminkt aus dem Haus geht. Auch ihre Garderobe muss dem Wohlgefallen der Männer dienen. Diese Garderobe darf jedoch nicht zu weiblich sein, aber bitte auch nicht zu männlich. Sie darf nicht zu freizügig sein, aber bitte auch nicht zu hochgeschlossen.
Frauen können es niemandem recht machen. Wenn sie keinen Wohlgefallen auslöst aufgrund ihrer Erscheinung und ihres Verhaltens, das bitte leise und höflich zu sein hat, wird sie direkt abgewertet. Es spielt keine Rolle, was Frauen leisten, sie werden immer anhand ihrer Optik bewertet werden. Sie muss hübsch sein, aber bitte nicht zu hübsch. Ist sie nämlich zu hübsch, hat sie alles, was sie erreicht, nur aufgrund ihrer Optik erreicht.
Es spielt keine Rolle, wie gut eine Frau ausgebildet ist, wie viel Wissen sie hat, welche Fähigkeiten oder Fertigkeiten sie hat. Ist sie nicht hübsch genug, nicht schlank genug, nicht freundlich genug, nicht leise genug, wird sie diskreditiert.
Sie darf weder zu wenig lachen noch zu viel und auch nicht zu laut. Sie darf vor allem nicht wütend sein, das gehört sich nicht für eine Frau!
Es macht wütend, wenn man feststellt, dass man nicht als Mensch wahrgenommen wird, und gleichgestellt schon gar nicht.