Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich wirklich und tatsächlich etwas dazu sagen möchte. Ich habe gar überlegt, ob ich ein Video aufnehme, da es meist besser wahrgenommen wird. Doch ich hatte Bedenken, dass ich zu viel erzähle, ohne etwas zu sagen.
Ich bin wirklich entsetzt, was ich derzeit mitbekomme!
Ist euch eigentlich klar, warum so viele von euch jetzt nicht mehr zur Arbeit, in die Uni oder zur Schule müssen? Warum eure Kinder zu Hause bleiben sollen? Warum es Einschränkungen der Besuchszeiten in Krankenhäusern und anderen Pflegeeinrichtungen gibt?
Ist euch das irgendwie klar?
Mir scheint, viele von euch haben es nicht begriffen. Oder ihr seid einfach nur ein ignoranter Haufen. Daher erzähle ich nun neben den Fakten ein wenig aus meinem Leben.
Ich gehöre zur Risikogruppe, ja ich! Die meisten von euch kennen mich entweder überhaupt nicht, oder nur vom Sehen, eventuell auch nur vom Hörensagen. Doch kennen?
Diejenigen, die wissen, dass ich zur Risikogruppe gehöre, kann ich im Bekanntenkreis an meinen beiden Händen abzählen. Ansonsten selbstverständlich noch mein Arbeitgeber, einige Kunden, sowie Ärzte und Therapeuten.
Man sieht es mir nicht an, dass ich zur Risikogruppe gehöre. Weder bin ich alt genug, noch sehe ich irgendwie gebrechlich aus. Eher im Gegenteil, ich bin sportlich, ich bin sehr trainiert ich sehe sehr gesund aus.
Ich hatte letztes Jahr einen schweren Unfall, der mich beinahe das Leben kostete. Ich informierte direkt nach dem Unfall zwei Leute. Nach der ersten Diagnose informierte ich drei weitere Leute. Und obwohl sich in den nächsten Stunden das ganze Ausmaß erst zeigte, blieb es vorerst bei diesen fünf Leuten, bis nach der OP.
Meine Tochter war bis kurz vor der OP bei mir, als sie ging, fing ich an zu weinen. Ich weinte nicht meinetwegen, ich weinte, weil es mir so leid tat, was ich ihr angetan hatte. Mein Leben stand auf dem Spiel und wir wussten nicht, ob wir uns nicht eventuell das letzte Mal gesehen hatten. Und es tat mir so leid. Es tat mir auch für meine Mutter und meinen Sohn leid und für all die Menschen, die ich mit diesem Unfall belastet hatte. Es tat mir leid, dass sie leiden mussten.
Was für ein unglaublich großes Glück ich damals hatte, begreife ich erst jetzt. Ich meine nicht, das Glück, überlebt zu haben, sondern dass meine Tochter bis kurz vor der OP bei mir sein konnte, dass ich noch am selben Abend nach der OP Besuch bekam, dass ich in den folgenden Tagen all die Menschen sehen konnte, die mir wichtig waren. Sie konnten einfach so zu mir ins Krankenhaus kommen. Es gab so gut wie keine Einschränkungen der Besuchszeiten, es gab keine Einschränkungen, wer und wie viele Menschen mich besuchen wollten.
Dass dies ein Privileg sein könnte, hätte ich im Leben nicht geglaubt.
Das kennen sicher viele von euch, die Freude über einen Krankenbesuch. Man weiß, dass man nicht allein ist und dass es Menschen gibt, denen man wichtig ist.
Klar, auch diejenigen, die mich anriefen, die über die sozialen Medien mit mir Kontakt hielten, waren irgendwie beteiligt. Aber halt nur irgendwie.
Müsste ich jetzt ins Krankenhaus, egal ob wegen des Corona Virus oder wegen etwas anderem, da wäre nix mehr mit Besuch, oder zumindest sehr eingeschränkt. Natürlich wüsste ich, dass meine Lieben an mich denken, aber sie könnten nicht da sein. Ich wüsste, dass sie sich Gedanken machen und genau das würde mich traurig machen, denn ich möchte niemanden damit belasten, dass ich krank bin.
Wenn es für euch OK ist, dass ihr einsam und allein im Krankenhaus liegt, dass ihr kaum oder gar keinen Besuch bekommt. OK, dann macht euren Scheiß weiter! Geht weiter raus, ohne Grund, feiert, trinkt mit anderen aus demselben Glas, derselben Flasche und was immer ihr wollt.
Denkt jedoch daran, dass es Menschen gibt, die nicht einsam und allein im Krankenhaus liegen möchten. Und denkt vor allem daran, dass ihr diejenigen seid, die andere dazu verdammen, einsam und allein im Krankenhaus zu sein.
Ich gehöre zur Risikogruppe und arbeite noch immer, da ich einen, wie man heute so schön sagt, systemrelevanten Job habe.
Ich arbeite in der Pflege. Bis vor einiger Zeit noch in Altenheimen. Dort habe ich einige Menschen in den Tod begleitet. Ich war selbstverständlich nicht die erste Wahl, doch die Angehörigen sind selten in der Lage ihre Familienmitglieder in den Tod zu begleiten.
Und eines war dennoch wichtig für die Sterbenden, dass sie vor ihrem Tod noch ihre Liebsten sahen.
Ich habe Menschen erlebt, die kaum mehr am Leben waren, die tagelang auf den Besuch ihrer Liebsten warteten, nur um danach endlich in Frieden sterben zu können.
Sterben ist immer irgendwie einsam, doch die Menschen, denen ich beistand, wenn sie ihren letzten Atemzug taten, ihr Herz das letzte Mal schlug, sahen entspannter und zufriedener aus als die, die ich tot in ihren Betten vorfand. Niemand stirbt gern so ganz allein.
Jetzt haben wir die Situation, in der viele Menschen allein sterben müssen. Die hohe Krankenquote beim Pflegepersonal lässt es nicht zu, den Menschen in den Heimen beim Sterben beizustehen. Besuch? Welcher Besuch? Die Besuchszeiten wurden in den Heimen herabgesetzt. Die Menschen, die dort leben gehören alle, ausnahmslos, zur Risikogruppe. Da will man nicht, dass ein Infizierter den Tod hereinträgt.
Wenn jemand mit einem schweren Verlauf des Corona-Virus im Krankenhaus ist, ist derjenige dort allein. Diese Tatsache führt übrigens mit dazu, dass einige Menschen sterben, denn wer gesund werden will, der braucht einen Grund. Besuch, seine Liebsten bei sich zu haben, ist so ein Grund. Einsamkeit macht krank.
Wenn diese Menschen sterben, sterben sie allein. Besuch ist nicht zugelassen und es gibt zu wenig Personal, als dass sich eine nette Pflegerin oder ein netter Pfleger dazu setzen könnte.
Dieser Mensch mit einem schweren Verlauf von Corona könnte eure Mutter, euer Vater, eure Oma, euer Opa oder gar einer von euch sein.
Und warum? Weil ihr so blöd wart und weiter gelebt habt, als gäbe es diesen Virus nicht. Ihr habt einen eurer Liebsten auf dem Gewissen und nicht nur das, ihr habt einen eurer Liebsten allein gelassen.
Das ist für euch OK? Sicher? Es interessiert euch nicht, wie viele Menschen an Corona sterben? Wie viele allein im Krankenhaus liegen?
Na dann!
Es sind doch nur 6%, deren Verlauf schwer ist! Das stimmt, nur 6%.
Bundesweit gesehen, bei einer Einwohnerzahl von knapp 83 Mio, erkranken ca. 70% bis 80%, das sind ca. 58 bis 66, 4 Mio. Einwohner. Von diesen 58 bis 66,4 Mio. Einwohnern erkranken 6% schwer, das sind ca. 3,5 bis 4 Mio. Einwohner! Einwohner sind übrigens Menschen.
Diese Menschen liegen also einsam und allein im Krankenhaus. Die durchschnittliche Sterberate, wenn man sie weltweit nimmt, liegt bei knapp 3% der Erkrankten. Somit wären wir bei 1,75 bis 2 Mio. Menschen, die schätzungsweise sterben werden.
Noch haben wir in Deutschland eine sehr geringe Mortalität, was einzig und allein daran liegt, dass unsere Kapazitäten an Intensivbetten derzeit ausreicht. Da die Zahl der Infizierten mit jedem Tag steigt, werden diese Kapazitäten knapper und die Mortalität wird steigen.
Falls ihr das Wort nicht kennt, Mortalität ist die Sterblichkeit.
Ich lebe in Kassel, ich werden daher die Zahlen anhand dieser nicht allzu großen Stadt demonstrieren, nur damit ihr in etwa wisst, wie viele hier erkranken und sterben werden.
Kassel hat ca. 200.000 Einwohner, der Landkreis hat nochmals ca. 236.000 Einwohner.
Nimmt man nur die Stadt, werden ca. 14.000 bis 16.000 Menschen erkranken, davon werden ca. 840 bis 960 Menschen einen schweren Verlauf haben und etwa 420 bis 480 Menschen in der Stadt Kassel werden an diesem Virus sterben. Die Zahlen im Landkreis sind ja fast identisch, somit wird es in Stadt und Land zu ca. 28.000 bis 32.000 Infektionen kommen, davon 1680 bis 1920 mit schwerem Verlauf und 840 bis 960 Menschen werden statistisch gesehen an dem Virus in Kassel Stadt und Land sterben.
Und es sind ja nicht nur die Menschen, die aufgrund von Corona sterben, es werden auch einige sterben, da es nicht genug Betten, nicht genug Ärzte und nicht genug Pflegepersonal gibt, um sich um all die anderweitigen, zum Teil schwererkrankten, Patienten zu kümmern und sie medizinisch bestmöglich zu versorgen.
Ist das noch immer OK für euch?
Mir scheint, es gibt vieles, was einige nicht verstehen, es gibt sogar Menschen, die den Virus leugnen oder kleinreden.
Ich lese sehr viele Verschwörungstheorien. Es muss ja irgendwas im Hintergrund laufen, wenn ein Thema so „hochkocht“. Ja, da läuft etwas im Hintergrund, die Uhr läuft für eine ganze Menge Menschen ab.
Ja, viele Menschen werden nur ganz leichte Symptome haben, doch einige, und am Ende sind es zu viele, werden daran sterben.
Ja, an der Grippe erkranken jährlich viele Menschen und es sterben auch viele Menschen an der Grippe. Dabei kann man sich gegen Grippe impfen lassen!
Leute, bitte kommt zur Besinnung! Da draußen lauert die Gefahr! Vielleicht nicht für jeden von euch und vielleicht werden viele von euch nur ganz leichte Symptome haben, aber für einige endet es tödlich. Und ihr, die ihr euch gerade trefft, unbedingt unter Leute wollt, eventuell gar eine lustige Corona-Party feiert, einige von euch werden dabei zu Mördern, einige von euch werden daran sterben.
Denn eines glaube ich euch Pappnasen nicht: Dass ihr unter euch bleibt, dass ihr nach der Party, nach dem Eisessen, nach anderen konspirativen Treffen nach Hause geht, unter euch bleibt und uns, die wir vernünftig sind und soziale Kontakte meiden, in Ruhe lasst.
Nein, der eine wird seine Mutter besuchen, der nächste die Tante, wieder ein anderer den Opa, vielleicht der ein oder andere aber auch einfach nur einen Freund.
Ihr seid tödliche Waffen! Ihr verbreitet den Virus und schämt euch nicht einmal dafür.
Ich frage mich, wie ihr damit leben könnt, wenn eure Mutter einsam und allein im Krankenhaus stirbt und ihr wisst, dass ihr der Überträger wart.
Eure Mutter hingegen liegt im Krankenhaus, im Sterben, und hat nur einen Gedanken, dass es euch gut geht!
Leute, was bitte ist daran so schwer zu verstehen, dass wir die größtmögliche Chance haben, alle einigermaßen heil daraus zu kommen, wenn wir zu Hause bleiben und nur die notwendigsten Wege erledigen?
Was ist so schwer daran, für ein paar Wochen die Füße still zu halten und die digitalen Möglichkeiten der Zusammenkunft zu nutzen?
Ich gehöre zur Risikogruppe. Ich meide bereits seit Anfang Februar größere Menschenmassen. Ich war auf keiner Party und keinem Konzert mehr.
Ich war einmal im Theater, doch an dem Abend waren dort nur sehr wenige Leute, da es keine offizielle Vorstellung war, ansonsten hätte ich es sicher gelassen.
Und ich bin so gerne unter Menschen, ich feiere wirklich sehr gern. Ich vermisse es so sehr, meine Familie und Freunde zu treffen, mit ihnen zu feiern, Spaß zu haben. Ich vermisse das ganz normale Leben.
Das letzte Mal, dass ich jemanden meiner Freunde oder Familie persönlich traf ist mittlerweile 10 Tage her.
Letztes Wochenende rief ich meine Mutter an, um ihr zu sagen, dass ich sie nicht mehr besuchen werde, bis wir endlich wieder sicher sind. Anfang der Woche rief mich meine Tochter an um mir zu sagen, dass wir uns erst mal nicht mehr sehen, bis wir wieder sicher sind.
Ich gehöre zur Risikogruppe und gehe noch immer arbeiten, ich arbeite mit Menschen, die zur Risikogruppe gehören.
Ich möchte niemanden anstecken, mein eigenes, sehr persönliches Schicksal ist mir dabei nicht ganz so wichtig.
Ich bin unendlich traurig, da ich nicht weiß, ob und wann ich meine Familie und meine Freunde wieder sehe.
Ich weiß, dass es sein kann, dass ich den einen oder anderen nie wieder sehe. Das ist für mich wirklich schwer.
Doch noch viel schwerer ist es, wenn ich merke, wie meine Familie und meine Freunde am Telefon reagieren, wenn ich ihnen sage, dass ich weiterhin arbeiten gehe. Ich möchte gar nicht, dass sie sich um mich sorgen. Das müssten sie auch gar nicht, wenn auch endlich der letzte Vollhonk begriffen hätte, dass es derzeit keine gute Idee ist, nur für das eigene Vergnügen rauszugehen, sich mit Leuten treffen und zu feiern.
Draußen ist Frühling, die Sonne scheint, es wird wärmer. Ich finde es so entsetzlich schade, dass ich nicht mit meiner Familie oder meinen Freunden irgendwo draußen sitzen und die ersten Frühlingstage genießen kann. Aber es gibt Dinge, die wichtiger sind. Mir ist es wichtiger, das Leben anderer Menschen nicht zu gefährden, ich bleibe in meiner Freizeit zu Hause.
Noch mache ich das freiwillig, wie so viele andere Menschen, die schlau genug sind, auch.
Doch wenn sich weiterhin so viele so verhalten, als gäbe es den Virus nicht, weiterhin rausgehen, als sei die Welt in Ordnung, werden wir bald nicht mehr rausgehen dürfen.
Schon jetzt rufen viele nach der Ausgangssperre, sie sagen sogar, dass es fahrlässig sei, dass die Politiker endlich reagieren müssen.
Geht es wirklich nur mit Verboten? Könnt ihr nicht einfach mal euer Hirn einschalten und Verantwortung zeigen, Verantwortung für euch und für andere?
Bitte, bleibt einfach zu Hause!
Ansonsten gibt es sehr bald die Ausgangssperre, dann ist es eh vorbei. Wollt ihr das?
Bleibt zuhause! Bleibt gesund!
astrid