…AD:key

Eine der ersten EBM-Bands mit
weiblichen Vocals

EBM ist ein Männergeschäft, Männer
auf der Bühne, Männer vor der Bühne, Frauen sind eher Zierrat.

Bei
den Konzerten kann man den Testosteronspiegel förmlich riechen –
vielleicht ist es einfach nur Schweiß.

Bässe
und Shouts auf der Bühne, Glatzen und blanke Bierbäuche pogend
davor.

Ich
erinnere mich an ein Gespräch mit AD:key-Mastermind Rene Nowotny vor
einigen Jahren. Er wollte von mir wissen, warum ich nicht öfter zu
EBM-Konzerten bzw. Festivals komme. An der Musik kann es wohl kaum
liegen, da ich diese in der Tat präferiere.

Ich
erklärte ihm, dass ich einfach keinen Bock auf die schwitzenden
blanken Bierbäuche hätte. Auf seinen Einwand, so schlimm sei das
doch nicht, fragte ich ihn, ob er etwa unbedingt umringt von dicken
Weibern, die blank gezogen hätten feiern möchte.

Just
in dem Moment saß auf dem Rasen eine beleibte nackte Frau und
feierte zu EBM-Klängen. Die Pussys (die harten EBM-Männer) liefen
schreiend davon.

Und
hier liegt der Unterschied, wenn übergewichtige Männer blank
ziehen, ist das vollkommen in Ordnung, bei übergewichtigen Frauen
ist es ein Problem.

Die
schwarze Szene stellt sich nach außen als besonders offen und
tolerant dar, doch tatsächlich ist sie ebenso intolerant, engstirnig
und sexistisch, wie der Rest der Gesellschaft.

Bekannte
Frauen in der Szene, die sich durch ihre kreativen Arbeiten Respekt
verschaffen haben sind selten. In dem kleinen Genre EBM noch
seltener.

Eine
absolute Ausnahme bildet hier AD:key-Frontfrau Andrea.

Doch
muss man hier anmerken, dass Andrea zudem ein optischer Leckerbissen
ist. Ob sie solchen Zuspruch hätte, wäre sie ein weibliches Pendant
zu Rudi Ratzinger, sei dahin gestellt.

AD:key
veröffentlichten im letzten Jahr ihr Album Reanimator, das große
Erfolge feierte. Im April kam ihr 10th-Anniversary-Album heraus.

Rezensionen
zu beiden Alben gibt es genug.

Ohne
ihr künstlerisches Schaffen in den Hintergrund zu drängen,
interviewte ich Andrea sehr persönlich, zu ihren Alben, zu AD:key,
zur Szene und zu ihren Erfahrungen im Hinblick auf Sexismus.

Dark
Weib (DW):
Hallo Andrea,

vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mir einige Fragen zu
beantworten.

Dürfen
wir überhaupt darauf hinweisen, dass wir persönlich befreundet sind
und uns bereits aus dem Kindergarten kennen? Oder wirkt das ganze nun
unprofessionell und abgekartet?

Andrea (A): Das lässt sich eh nicht leugnen, dazu sollten wir einfach mal stehen! Außerdem kann das nur ein Gewinn für alle sein. Es wirkt nicht unprofessionell, ganz im Gegenteil, gerade dadurch, dass wir uns so gut kennen, wird es das offenste und intimste Interview ever!

DW:
AD:key feiert in diesem Jahr 10jähriges Bandbestehen, zu dem ein
Best Of Album mit vielen Remixen erscheinen wird. Letztes Jahr habt
ihr ein Album mit neuen Songs, Reanimator, herausgebracht. Auch wenn
die Veröffentlichung nun schon ein paar Tage her ist, habe ich noch
ein paar Fragen dazu.

Die
Rezensionen sind durchweg positiv. Mich erstaunt hieran, dass ihr
euch musikalisch nicht einfach nur weiterentwickelt habt, ich weiß,
dass Rene mehr als „Old School“ drauf hat, ihr habt richtig etwas
gewagt.

Wie
waren denn deine persönlichen Erwartungen, rein musikalisch gesehen?

A:
Dass wir uns treu bleiben, dass wir weiterhin nach AD:key klingen,
wir uns jedoch weiterentwickeln und nicht nur im Hinterkopf haben,
reinen EBM zu machen. Wir hatten bei der Produktion im Kopf, unsere
zu Linie verfolgen, in der wir uns musikalisch ausprobieren und in
der es nicht zu einem Stillstand kommt.

DW:
Textlich ist das Album wieder sehr persönlich. Ich habe ja einen
neuen Lieblingssong, den du natürlich explizit für mich schriebst
„So wie du“. Vielen Dank für diese Liebeserklärung.

Du
bist die versöhnlichste Frau, die ich kenne. Bis jemand bei dir
komplett unten durch ist, muss derjenige sich wirklich einiges
erlaubt haben.

Erzähl
doch bitte mal, wie du ausgerechnet auf diesen Text kamst.

A:
Ich habe Achtung vor jedem Menschen und bemühe mich respektvoll mit
ihnen umzugehen und niemanden zu verletzen. Ich mache mir immer
Gedanken, wenn ich weiß, dass es jemandem gerade schlecht geht und
grüble ständig darüber nach, ob ich genug getan habe und derjenige
mich richtig verstanden hat.

Als
ich mal wieder schlaflos war, weil ich wusste, dass es jemandem nicht
so gut geht und mich hin- und herwälzte, sagte Rene, dass die Person
sicher schon tief und fest schläft und ich diejenige mit den
schweren Gedanken und dem schlechten Gewissen bin und sich derjenige
sich sicher keine Gedanken darüber macht, wie es mir geht. Da kam
ein wenig Neid in mir auf und ich wünschte mir auch nur einmal die
Person zu sein, der alles und jeder egal ist. Ich hätte zu gern
einmal dieses Gefühl, ich möchte nur einmal wissen, wie es ist,
wenn einem einfach alles scheißegal ist.

DW:
Ebenfalls sehr persönlich ist der Titelsong des Albums, Reanimator,
du bist Phönix, der immer wieder aus der Asche aufersteht.

In
welchen Situationen hast du das Gefühl, zu „verbrennen“?

A:
Wenn mich jemand, der mir sehr wichtig war, einfach komplett aus
seinem Leben löschen kann, ist das schon sehr verletzend.

Loszulassen
fällt mir generell sehr schwer. Auch der Tod eines Menschen geht mir
verdammt nah.

Sehr
heftig ist es für mich auch, wenn mir jemand, der mich eigentlich
gut kennen sollte, Böses unterstellt.

Auch
ein Shitstorm zieht mich jedes Mal runter.

Des
Weiteren kann ich nur sehr schlecht mit Ungerechtigkeiten im
Allgemeinen umgehen. Es macht mich regelrecht fertig, hilflos daneben
zu stehen, und zuzusehen, wenn eine 80jährige Flaschen sammeln muss,
oder wenn Kinder in unserem reichen Land hungern müssen.

DW:
Welches ist dein Lieblingssong des Albums und warum?

A:
„Never enough“, es ist soundmäßig absolut meins! Kurz zuvor
hatten wir einen Remix für Front 242 – meine Lieblingsband, der
ich seit meinem 14. Lebensjahr treu bin, fertig gestellt und hatten
Spaß daran uns soundtechnisch so richtig auszutoben.

Dann
ist da noch diese Zeile „I can get no peace“ die mir sehr wichtig
ist, weil ich jedem wünsche, dass er Frieden in seinem Leben findet.
Denn genau daran habe ich schon viele Menschen scheitern und gar
sterben sehen, sie haben nie Frieden im Leben gefunden.

DW:
Nun ist es soweit: 10 Jahre AD:key, 10 Jahre mit Rene verheiratet.
Das ist eine lange Zeit.

Ihr
habt viel gewagt, indem du Teil der Band wurdest.

Weibliche
Stimmen im EBM sind rar.

Wie
hast du die Akzeptanz erlebt, welche Stolpersteine waren die
schlimmsten?

A:
Anfangs war ich selbst nicht so überzeugt, da meine absoluten Helden
des EBM immer Männer waren.

Hinzu
kam, dass Rene des öfteren nach Konzerten angesprochen wurde, seine
Musik sei ja ganz cool, meine Stimme ginge aber gar nicht.

Auch
gab es unter Konzertfotos Kommentare wie, sieht ja ganz gut aus, kann
aber nix.

Ich
war zwischendurch immer wieder am zweifeln und überlegte,
auszusteigen. Rene war die treibende Kraft, die darauf bestand,
weiterzumachen. Er hat sich nie von Kommentaren oder ähnlichem
beirren lassen.

DW:
Wie wurdest du von anderen Künstlern angenommen und hat sich da
etwas im Laufe der Zeit geändert?

A:
Im Gegenteil zum Publikum waren andere Künstler von Anfang an sehr
nett und lieb zu mir. Im Laufe der Zeit hat es sich nur dahingehend
geändert, dass ich jetzt das Gefühl habe ernst genommen zu werden
und ich auch in „Fachgespräche“ einbezogen und mir zugehört
wird.

DW:
Was war dein schrägstes Erlebnis mit anderen Künstlern.

Wurdest
du von anderen Künstlern mit Sexismus konfrontiert und passiert dir
dies heute noch?

A:
Das wohl schrägste Erlebnis war während eines kleinen
Club-Festivals. Ein ordentlich zugedröhnter Sänger teilte mir mit,
dass er auf der Stelle Sex mit mir haben wolle. Zunächst blieb ich
höflich und erklärte ich geduldig, dass ich keinerlei Interesse
daran habe, meinem Mann das Ganze sicher auch nicht gefallen würde,
er zudem anwesend sei. Ich war wirklich sehr geduldig und redete mit
Engelszungen auf ihn ein, doch es brachte rein gar nichts. Er kam mir
weiterhin ständig zu nahe und verfolgte mich letztendlich sogar auf
die Toilette. Als er gegen die Toilettentür hämmerte und
unaufhörlich schrie, dass er nun Sex mit mir wolle, stieg Panik in
mir auf, was mir äußerst selten passiert. Zum Glück bekam Rene das
Ganze mit und verwies den Herrn in seine Schranken.

DW:
Nehmen die Veranstalter dich als künstlerisches Mitglied von AD:key
ernst? Was war dein schrägstes Erlebnis mit Veranstaltern oder
wurdest du von ihnen gar mit Sexismus konfrontiert?

A:
Im Allgemeinen fühle ich mich von den Veranstaltern schon als
vollwertiges Mitglied von AD:key wahrgenommen, vor allem von
ausländischen Veranstaltern. Aber es ist schon so, dass
Konzertanfragen oder Anfragen generell nur an Rene gehen, nicht an
mich.

Das
schrägste Erlebnis hatte ich mit einem Veranstalter, der sich
hartnäckig weigerte, mit mir zu reden. Er sprach ausschließlich mit
Rene, selbst wenn er dafür durch den gesamten Club laufen musste.

Der
absolute Höhepunkt jedoch war, als ich mit ihm abrechnen sollte, er
mir sagte, dass er nicht mit einer Frau abrechnet, das mache er nur
mit einem Mann!

DW:
Wie empfindest du selbst den Sexismus in der Szene, und wir gehen nun
erst einmal nur auf das Genre EBM ein.

A:
Von meinem persönlichen Gefühl her, muss ich sagen, dass der
Sexismus kaum bis gar nicht spürbar ist. Das sind jedoch meine ganz
eigenen Erfahrungen, ich fühle mich gut aufgehoben und habe das
Gefühl, mich genau dort besonders frei bewegen zu können.

Das
ist jedoch ein rein subjektives Empfinden, es kann natürlich sein,
dass mich die meisten kennen und wissen, dass ich verheiratet bin und
mich deshalb in Ruhe lassen.

Ich
denke, dass Frauen in diesem Genre nicht rein auf ihr Äußeres
reduziert werden. Ich habe erlebt, dass wirklich bildschöne Frauen
keinen Fuß in die Szene bekamen, hingegen jedoch Frauen, die nicht
dem vielleicht gängigen Schönheitsideal entsprechen, voll
integriert sind.

DW:
Rene kreiert eure Cover, unter anderem mit Gemälden von ihm. Er
stellt dich auch gern leicht bekleidet, bzw. nackt dar. Zuweilen
scheint es so, als würde diese kreative Freiheit etwas
diskreditiert. Was entgegnest du, wenn dich jemand fragt, warum Rene
dich so darstellt?

A:
Ich finde, es gibt einen Unterschied zwischen Fotos und Gemälden.
Weiterhin ist es ein Unterschied, wie Nacktheit dargestellt wird.
Keines unserer Gemälde wirkt auch nur annähernd pornös. Gemalt
muss ja auch nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen und lässt
somit viel Spielraum für Fantasie.

Wir
ziehen mit unserer Musik blank, auch in der Musik sind wir quasi
nackt. Somit ist es eine logische Schlussfolgerung, dass das Cover
genau dem entsprechen sollte.

Ich
finde es erschreckend, dass an jeder Ecke Nacktheit gewalttätig
dargestellt und akzeptiert wird, wir jedoch für unsere Gemälde
dumme Sprüche kassieren. Nacktheit bedeutet für mich in erster
Linie Unschuld und Reinheit. Man kommt ja auch nackt zur Welt.

DW:
Eigentlich müsstet ihr dieses Jahr groß feiern, 10 Jahre AD:key, 10
Jahre Ehe!

Wird
es zu diesen Anlässen eine Party geben?

A:
Eigentlich hatten wir geplant mit Bands und all unseren Freunden groß
zu feiern, am liebsten am 06. September, unserem Hochzeitstag. Doch
leider ist der komplette September schon verplant.

Da
wir ansonsten ja auch gern aus der Reihe tanzen, werden dir dafür
unseren 11. Hochzeitstag mit all unsren Freunden feiern.

DW:
Noch ein sehr persönliche Frage zum Schluss, sie kommt von meinem
Töchterchen: Warum AD (deutsch) und nicht AD (englisch)?

A:
Weil das AD von Armageodon Dildos kommt, das spricht man auch mit
einem A und nicht mit Ä.

DW:
Vielen Dank meine Liebe! Ich freue mich schon riesig auf unser
nächstes Interview, das hoffentlich nur unter uns bleibt.

A:
Eines der schönsten und lustigsten Interviews, die ich je hatte,
vielen Dank, mit dir immer wieder.

Das nächste bleibt jedoch natürlich unter uns und meinen Nachbarn.

astrid

Foto oben by Rene Nowotny; unten by as